It’s camp, baby! Neuer warmer Brit Dance-Pop von Olly Alexander und Rose Gray. Der letzte Vorhang fällt für The Weeknd. Das queere Elektro-Tech-Pop-Duo KOMPROMAT feiert die Alchemie der Nacht. Italo-Disco-Revival mit Valentino Vivace. Comeback einer italienischen Gay-Ikone: Rettore. Singer-Songwriter-Folk aus trans-Perspektive: jasmine.4.t. Das unglaublich entspannte Trennungsalbum der queeren Newcomerin Charlie Houston. Sphärische und nostalgische Töne aus dem queeren frankophilen Raum: Laura Cahen und Pierre Lapointe.
OLLY ALEXANDER
Polari (Polydor/Universal)
«Polari» ist das erste Album, das der Ex-Sänger des britischen Electro-Pop-Trios Years&Years unter seinem eigenen Namen veröffentlicht. Der Albumtitel bezieht sich auf die Geheimsprache der Schwulen im London der 1960er-Jahre, als Homosexualität noch verboten war. Auf dem Albumcover inszeniert sich Olly Alexander als halbnackter Amor, der mit seinen Pfeilen queere Liebe verbreitet. «Polari» ist der persönliche Liebesbrief eines selbstbewussten stolzen schwulen jungen Mannes an seine offen gelebte Sexualität, das Nachtleben und an die schwule Club-Kultur. Der unprätentiöse sexy Dance-Pop von Olly Alexander ist eindeutig auf Spass, Hedonismus und Eskapismus ausgerichtet, wirkt aber nie plump oder banal.
ROSE GRAY
Louder Please (PIAS/Rough Trade)
Mit ihrem Debütalbum «Louder Please» tritt die Londonerin Rose Gray in die Fussstapfen etablierter Dance-Pop-Ladies wie Kylie Minogue, Lady Gaga, Dua Lipa, Becky Hill, Ava Max und Sophie-Ellis-Bextor. Mit Songs wie z.B. «Party People», «Free», «Wet & Wild» und «Angel Of Satisfaction» betont Rose Gray wiederholt die verbindende, transzendentale und emanzipatorische Kraft der Tanzfläche und schwört auf die heilende Wirkung euphorisierender Tanzmusik. Auf «Louder Please» macht Rose Gray alles richtig. Sie switcht souverän zwischen Retro-Disco, Eurovision, Rave, House und Soul-Pop und zurück. Ihre Songs sind wie dafür prädestiniert, laut gespielt zu werden.
THE WEEKND
Hurry Up Tomorrow (The Weeknd XO Music ULC/Republic)
Der 35-jährige Abel Tesfaye alias The Weeknd schliesst mit dem monumentalen Werk «Hurry Up Tomorrow» die Albumtrilogie ab, die 2020 mit «After Hours» begann und 2022 mit «Dawn FM» fortgesetzt wurde. Aber nicht nur, denn der er nimmt in epischer Länge und Dramatik definitiv Abschied von der ambivalenten Kunstfigur, die ihn zum globalen Superstar machte. Das erfolgreiche Kapitel The Weeknd wird nun für immer geschlossen. Abel T. wird offenbar unter dem eigenen oder einem neuen Namen weitermachen. «Hurry Up Tomorrow» ist eine urbane, dunkle und zugleich glitzernde R&B-Oper über die Schattenseiten des Ruhms im Stil eines kolossalen Blockbusters aus den 80er-Jahren. Die Zombie- und Werwolf-Ära von Michael Jackson und die Soundtracks von Giorgio Moroder lassen auch grüssen. Im Mai soll der gleichnamige Film mit Abel Tesfaye himself, Jenna Ortega und «Saltburn»-Star Barry Keoghan erscheinen. Ein Psychothriller. Aber ehrlich, hätte jemand etwas anderes erwartet?
KOMPROMAT
Playing/Praying (Warriorecords/Alive)
Das Duo Kompromat besteht aus Vitalic und Rebeka Warrior, zwei wichtigen Figuren, die aus der französischen queeren Elektro-Szene hervorgegangen sind. Ihr Debüt «Traum und Existenz» von 2019 war noch von der Berliner Techno, DAF und Einstürzende Neubauten inspiriert und mischte Texte in deutscher und französischer Sprache. Auf dem Nachfolgeralbum «Playing/Praying» geht es nach wie vor um Sex, Drogen und Techno, aber neu halten auch Liebe, Sinnlichkeit und Mystik in Kompromats Musikuniversum Einzug. Diesmal wird das Französische mit dem Englischen vermengt und wechselnde Gast-Sängerinnen wie Vimala Pons, Rahim Redcar, Farah oder Sonia DeVille setzten neue erfrischende Pop-Akzente.
VALENTINO VIVACE
Discoteca Vivace (Fluidostudio)
Valentino Vivace wurde vor 29 Jahren als Valentin Kopp im Tessin geboren und hat vor drei Jahren mit «Meteoriti» ein Debüt-Album herausbracht, dem das heute noch anhaltende Italo-Disco-Revival zu verdanken ist. Nicht nur auf dem Cover des Nachfolgers «Discoteca Vivace», sondern auch bei seinen ausgefallenen Klamotten bedient sich Valentino Vivace einer faszinierenden 80er-Jahre-Ästethik, die vielleicht ein bisschen nach bad taste schreit, aber eigentlich nie aus der Mode gekommen ist. In den neuen Songs kombiniert Valentino Vivace wieder nostalgische Elemente der Italo-Disco-Ära mit French Touch à la Daft Punk und moderneren elektronischen Indie-Pop-Klängen à la Empire Of The Sun und bringt nicht nur alle DJ-Herzen zum Schmelzen, sondern auch das Schwingbein zum Tanzen.
RETTORE
Antidiva Putiferio (Warner Music Italy)
Die schwule Ikone Donatella Rettore oder einfach Rettore landete zwischen 1978 und 1982 in Italien einen Hit nach dem anderen. Mit Songs über den Kult der Oberflächlichkeit, binäre Geschlechtsidentitäten oder den männlichen Geschlechtsteil und mit einem ganzen Album über die japanische Suizidkultur war Rettore schon damals ihrer Zeit voraus. Inzwischen hat die GenZ Rettore für sich entdeckt und ihr zu einem grandiosen retrofuturistischen Comeback-Album verholfen. «Antidiva Putiferio» rehabilitiert Rettores Stellenwert als rebellische Disco-, Punk- und Indie-Pop-Antidiva in der italienischen Popmusikwelt. Ihre Kollaborationen mit Jungstars wie ditonellapiaga, der queeren Newcomerin Big Mama und La Sad machen sie aktueller und relevanter denn je.
JASMINE.4.t
You Are The Morning (Saddest Factory/Cargo)
Die Singer/Songwriterin Jasmine.4.t, im richtigen Leben Jasmine Cruickshank, hatte 2021 ihr Coming Out als trans. Danach ging ihre Ehe in die Brüche und sie musste ein neues Leben aus dem Nichts aufbauen. Musikmachen und die queere Community Manchesters retteten sie vor dem Absturz in ein seelisches Loch. Die queere weibliche Supergroup Boygenius bestehend aus Phoebe Bridgers, Lucy Dacus und Julien Baker hat Jasmine und ihre all trans Band unter ihre Fittiche genommen. Auf dem Debüt «You Are The Morning» erzählt Jasmine in berührenden Folk-Rock-Songs, wie es ist, eine derart intensive Phase der Veränderung durchzulaufen und sich am Schluss endlich im eigenen Körper wohlzufühlen.
CHARLIE HOUSTON
Big After I Die (Arts & Crafts Productions Inc.)
Charlie Houston ist eine 22-jährige Singer/Songwriterin aus Toronto. Auf ihrem Debüt «Big After I Die» verarbeitet sie die Trennung von ihrer Freundin, die sie wegen eines Musikers in einer anderen Band verlassen hat, und berichtet persönlich über ihre Erfahrung, das Leben als queere Single-Frau wieder in den Griff zu bekommen. Mit ihrem neuen Kreativpartner Duncan Hood hat Charlie Houston neun kleine Indie-Folk-Pop-Perlen mit akustischer Gitarre, Klavier und einigen elektronischen atmosphärischen Verzierungen aufgenommen. Auf «Lighter» sinniert sie unglaublich relaxt über die Angst vor der Liebe und vor einer neuen Bindung.
LAURA CAHEN
De l’autre côté (PIAS France)
«De l’autre côté» von Laura Cahen, einer französischen Singersongwriterin aus Nancy ist ein Konzeptalbum über ein lesbisches Liebespaar, das in einer düsteren dystopischen Zukunft lebt und nach einem Zufluchtsort sucht, wo sie wegen ihrer Liebe nicht verfolgt werden. Vor diesem Horrorszenario öffnen Laura Cahens kristallklare Stimme und deren akustisch-elektronischen Klanglandschaften das Tor zum Licht auf der anderen Seite. Musikalisch changiert Laura Cahen zwischen klassischem Chanson und Elementen aus Pop, Trip Hop und englischem Folk. Dabei erinnern ihre musikalische Reife und ihr poetischer Geist an Au Revoir Simone, Adrianne Lenker und Laura Marling.
PIERRE LAPOINTE
Dix chansons démodées pour ceux qui ont le coeur abîmé (Pépiphonie)
Die französische Tageszeitung «Le Figaro» hat das brandneue Opus von Pierre Lapointe schon kurze Zeit nach dessen Veröffentlichung im Januar als das beste frankophone Album von 2025 auserkoren. Zu Recht. Das 15. Werk des schwulen Singersongwriters aus Quebec ist sehr persönlich und liebäugelt gern mit Barbara, Bécaud, Brel, Aznavour, Michel Legrand und Burt Bacharach. Wie der Albumtitel schon sagt, widmet Pierre Lapointe diese zehn altmodischen und nostalgischen Chansons allen Menschen mit einem gebrochenen Herzen. Jedes Lied ist eine herzzerreissende Angelegenheit. Z. B. in der Piano-Ballade «Comme les pigeons d’argile» spricht ein Sohn mit seiner an Alzheimer erkrankten Mutter und in «Toutes tes idoles» konfrontiert uns Pierre Lapointe mit unserer eigenen Vergänglichkeit, wenn plötzlich alle unseren Jugend-Idole einer nach dem anderen sterben.
SENDUNG HÖREN
Playlist
Die Musiktipps von DJ Corey immer am 1. Sonntag im Monat im QueerUp Radio auf Radio RaBe
https://queerupradio.ch