DJ Coreys MusikTipps März 2025

Lady Gaga ist wieder völlig gaga. Sasamis Neuausrichtung vom Indie- zum Breitwand-Pop. R&B unter der schwulen Lupe von Durand Bernarr. Bartees Strange kämpft gegen den Horror. Der testosterongesteuerte Sound von Baths. Queerer Indie-Pop aus dem Berner Oberland: Sivilian. Die neue schweizer-französische Pop-Sensation: Yoa. Die grosse Entdeckung des letzten Sanremo-Festivals: Joan Thiele. Im Namen der queeren Erotik: Miya Folick. Die magischen Körperwelten von Billie Bird.


LADY GAGA

MAYHEM (Interscope Records)

Mit «Mayhem» möchte Lady Gaga an den absoluten emotionalen und musikalischen Chaos ihrer «The Fame»-Ära anknüpfen. Aber selbst ein Profi wie sie hat Mühe, die Magie von früher wieder zurückholen. Dabei macht Lady Gaga alles richtig. Die Monster Mama schmiedet auch heute aus Electronica, Industrial, Gotik und haufenweise Pop-Zitaten ihren eigenen Stil. Ihre Pop-Musik gleicht nach wie vor einer Fahrt mit dem Autoscooter. Lady Gaga inszeniert sich als hyperaktive Pop-Maschine mit Presslufthammer und Kettensäge. Manchmal schrammt sie nahe am Selbstplagiat vorbei oder sie klingt wie eine Kopie von Ava Max, der sie inzwischen ihren Haupt-Songwriter und -Produzent Cirkut weggeschnappt hat. Fazit: Auf Mayhem» ist Lady Gaga wieder völlig gaga. Nur Bruno Mars und der französische DJ und Produzent Gesaffelstein können diese Widerspenstige ein bisschen zähmen. Aber selbst wenn alles «too much» ist, ist diesem Pop-Phänomen ziemlich schwer zu widerstehen.


SASAMI

Blood On The Silver Screen (Domino/Good To Go)

Nach dem Nu-Metal-Album «Squeeze» hat die queere Multi-Instrumentalistin und Songwriterin aus L.A. ihre Zehner-Dance-Pop-Platten von Britney Spears und Lady Gaga wieder entdeckt und auch in alte Alben von Dolly Parton und Lana Del Rey reingehört, ohne dabei das aktuelle queere Indie-Pop-Geschehen von Steve Lacey bis Beabadoobee aus den Augen zu verlieren. Auf «Blood On The Silver Screen» hat Sasami all diese Einflüsse mit viel Charme und Überzeugung zu einem genre-übergreifenden Mix vermengt. Sasami kombiniert grosse Pop-Melodien mit persönlichen Texten über die eigene Identität und unkonventionellen Arrangements. Dank dieser musikalischen Neuausrichtung entpuppt sich «Blood On The Silver Screen» als wahre Wundertüte. «In Love With A Memory», ein Duett mit Bedroompop-Star Clairo, ist eine liebevolle Hommage an die japanischen Pop-Balladen.


DURAND BERNARR

Bloom (DSING)

Durand Bernarr ist ein offen queerer R&B-Sänger aus Cleveland, Ohio, dem Musik in die Wiege gelegt wurde. Nach ersten Schritten im Kirchenchor machte er sich einen Namen als Gast- bzw. Background-Sänger für Erykah Badu, Kaytranada, Anderson .Paak, The Internet und Teedra Moses. 2024 erhielt Durand Bernarr seine erste Grammy-Nominierung in der Kategorie Best Progressive R&B Album für seine visuelle EP «En Route». Leider hat er den Preis nicht nach Hause genommen. Noch nicht. Aber dank seinem neuen Album «Bloom» stehen die Chancen auf eine erneute Nominierung sehr gut. Auf «Bloom» thematisiert Durand Bernarr den Facettenreichtum der Liebe, von romantisch über platonisch bis zur Selbstliebe, und demonstriert die Vielschichtigkeit seines R&B, der zum Schmusen, Weinen und Tanzen einlädt. Er gilt zu Recht als eine der aufregendsten Stimmen im zeitgenössischen R&B.


BARTEES STRANGE

Horror (4AD/Beggars/Indigo)

Bartlees Strange ist ein queerer schwarzer Künstler aus Baltimore, Maryland, der sich zu keinem musikalischen Genre so richtig zuordnen lässt. Auf seinem dritten Album «Horror» stellt sich der Horrorfilm-Fan seinen Ängsten. Damit meint er nicht etwa die Monster unter seinem Bett, sondern wichtige Lebensfragen, wie z.B. wo er als schwarzer, queerer Mann sicher und günstig leben kann oder welche seine Bedürfnisse in einer Liebesbeziehung sind. Musikalisch kennt Bartees Strange keine Berührungsängste und präsentiert einen breit gefächerten Strauss an Musikstilen, die zwischen Indie-Pop, Country, R&B, House und Yacht-Rock à la Fleetwood Mac variieren. Die Wahl des Starproduzenten Jack Antonoff (Lana Del Rey, Taylor Swift, etc.) signalisiert, dass Bartees Strange die grossen Bühnen dieser Welt im Visier hat.


BATHS

GUT (Basement’s Basement)

Baths ist das Einmannprojekt des kalifornischen Künstlers Will Wiesenfeld, der seit 2010 im Bereich Chillwave und Experimentalelektronik musikalisch unterwegs ist. Auf seinem neuen Album «Gut» (Eingeweide, Darm) taucht Baths in die Tiefen seiner schwulen Existenz und in die schwanzgesteuerte Seite seiner Persönlichkeit ein. Baths singt ungefiltert und vom Bauch heraus über Männer und Sex und umgekehrt. «Gut» ist die pure Befriedigung des eigenen Hedonismus, solide verpackt in einem nicht immer zugänglichen Indie-Pop-Rock-Mantel, der manchmal an The Hidden Cameras, Perfume Genius, Sufjan Stevens und Everything Everything erinnert. «Sea Of Men», «Eden» und «Homosexuals» sind besonders gut gelungen.


SIVILIAN

GROWING UP HURTS – EP (Phonag Records)

Schon mit seiner Sommersingle «Chlorine» über schwules Begehren in der Badi hat Adrian Graf alias Sivilian richtigen Balsam für das queere Ohr geschaffen. Der Berner Oberländer, der nun im Zürcher Exil lebt, thematisiert auf seiner neuen EP «Growing Up Hurts», wie schwierig es war, als queerer Mensch auf dem Land aufzuwachsen. Zum Komponieren der neuen Songs ist Sivilian zurück in die elterliche Wohnung in Goldiwil gezogen, wo er auf seine alten Tagebücher gestossen ist. «Growing Up Hurts» ist eine poetische Auseinandersetzung mit Identität und Erwachsenwerden. Die fünf Dream-Pop-Songs sind wie in Watte gebettet und umhüllen die Hörer/innen warm und sanft. Sivilian braucht den Vergleich mit Grössen wie seinen Idolen Lorde und Troye Sivan definitiv nicht zu scheuen.


YOA

La Favorite (Panenka Music)

Die französisch-schweizerische Sängerin, Songwriterin, Tänzerin und Schauspielerin hat Mitte Februar den renommierten französischen Musikpreis «Les Victoires de la Musique» in der Kategorie «Bühnen-Offenbarung» gewonnen. Die Mitzwanzigerin gilt als neue Sensation des French Pop. Auf ihrem Debüt «La Favorite» serviert Yoa einen erfrischenden Cocktail aus bittersüssen Balladen und catchy Nummern, die mit Hyperpop, Reggaeton, Bossa oder Afropop kokettieren. Stilistisch pendelt Yoa zwischen Angèle, Pomme, Charlie XCX und Billie Eilish. Ihre offenen und ehrliche Texte über weibliche Sexualität, psychische Gesundheit, Selbstzweifel, Trennungen oder toxische Männlichkeit sind ihr Markenzeichen.


JOAN THIEL

JOANITA (Numero Uno/SONY)

Das diesjährige Sanremo hat zwei Outsiders wie Lucio Corsi und Joan Thiele einem grösseren Publikum nähergebracht. Zwar wird Italien den zweitplatzierten Lucio Corsi ans ESC nach Basel schicken, aber es lohnt sich ebenfalls, die 33-jährige Joan Thiele im Auge zu behalten. Die Tochter einer Italienerin aus Neapel und eines Schweizers mit kolumbianischen Wurzeln ist zwischen Italien, Kanada, England und Kolumbien aufgewachsen. Die eigenen Erfahrungen als Globetrotterin prägen auch ihren sehr fluiden Sound, der R&B, Jazz, Pop, Soul, wie auch Easy Listening und Filmmusik zu Italo-Western-Klassikern umarmt. Auch Joan Thieles neues Album «Joanita» spielt mit all diesen Elementen, wobei sie dem Filmkomponisten Piero Umiliani eine besondere Beachtung schenkt. Jeder Song hört sich an wie die Kulisse einer Filmszene, wo die Gitarre, Joan Thieles Lieblingsinstrument, die verschiedensten Emotionen und ihre persönliche Geschichte im Mittelpunkt stehen. «Joanita» ist ein sehr facettenreiches Werk, das wie ein Kaleidoskop immer wieder Überraschungen bietet.


MIYA FOLICK

Erotica Veronica (Nettwerk)

Auf ihrem dritten Album wendet sich die Songwriterin aus LA vom Bubblegum- und Power-Pop ihrer Anfänge ab. Dank ihrer Erfahrungen als Support-Act für queere Künstlerinnen wie Mitski, Faye Webster oder Japanese House ist Miya Folick auf den Geschmack von Indie-Pop-Rock gekommen. Auf dem selbstproduzierten «Erotica Veronica» platziert sich Miya Folick in einem musikalischen Spektrum zwischen akustischen Folk-Balladen, smoothen Pop-Perlen und kraftvollen Rock-Ausbrüchen. Ihre aussergewöhnliche Stimme, die oft in die sinnliche Kopfstimme wechselt, strahlt grosse Intimität und Fragilität aus. In ihren Songs geht es meistens um Selbstfindung und Empowerment, vor allem aber um queeres Verlangen in all seinen Variationen. Das macht «Erotica Veronica» zu einem sehr intensiven Hörerlebnis.


BILLIE BIRD

Nos corps (Mouthwatering Records)

Auf ihrer neuen EP «Nos corps» befasst sich die queere Folk-Pop-Sängerin aus Lausanne mit der Vielfältigkeit des menschlichen Körpers. In «Guerrera», Billie Birds erstem Song auf Spanisch, gilt der Körper als Schlachtfeld und als Symbol für den Widerstand. Auf «Les silences» soll der Körper Raum fürs Zuhören und Gehört-Werden schaffen. In «Vendredi 14h» ist der Körper nicht nur die Wiege der Wärme, der Liebe und der Sinnlichkeit, sondern auch die Hülle der Dunkelheit und Verletzlichkeit. Und schliesslich wird in «Nos corps» die Interaktion der Körper untereinander akzentuiert. «Nos corps se frôlent, nos corps se blessent. Nos corps se sont aimés comme ils se laissent» («Unsere Körper streifen sich, unsere Körper verletzen sich. Unsere Körper liebten sich, wie sie sich jetzt trennen»). Mit ihrer einzigartigen musikalischen Vision und einer magischen Stimme kann uns Billie Bird erneut in ihren Bann ziehen.


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Playlist


Die Musiktipps von DJ Corey immer am 1. Sonntag im Monat im QueerUp Radio auf Radio RaBe
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