Ignoranz oder Unwissen?

Am 14.12.17 wurde eine Interpellation eingereicht (von Rebecca Ana Ruiz, SP), Titel „Intersexuelle Personen. Kinderschutz, Statistiken und Informationen für das medizinische Personal und die Eltern“ (https://www.parlament.ch/de/ratsbetrieb/suche-curia-vista/geschaeft?AffairId=20174183).
Kurz zusammengefasst geht es um Antworten auf folgende Fragen:

  • Wie und bis wann gedenkt der Bundesrat die Empfehlungen im Bericht der NEK „Zum Umgang mit Varianten der Geschlechtsentwicklung“ (November 2012) umzusetzen?
  • Ausbildung von Mitgliedern interdisziplinärer Teams um Geschlechtszuweisungen bei Minderjährigen durchführen zu können (inkl. Operative und hormonelle Behandlungen)
  • Entsprechende pädagogische Ausbildung um auch Eltern angemessen informieren zu können
  • Statistiken zu in der Schweiz lebenden Personen mit „Varianten der Geschlechtsentwicklung“ (Anzahl und Anzahl der medizinischen Eingriffe)

Nun hat der Bundesrat am 2.3.18 in einer Stellungnahme geantwortet. Die liest sich wie ein ganz schlechter Witz, eine Klatsche für die Inter* Community in der Schweiz.
Er bezieht sich auf seine Stellungnahme vom 6.7.16 zum NEK Bericht (und die 14 Empfehlungen, die den Bund betreffen). Zitat: ‚Wie schon damals stellt der Bundesrat nun fest:‘

  • Massnahmen sind grossmehrheitlich umgesetzt oder in Umsetzung
  • Strafrechtliche Regeln zu geschlechtsbestimmenden Eingriffen sind vom EJPD geprüft, das geltende Recht erfasst solche Sachverhalte angemessen, kein Anpassungsbedarf
  • Prüfung einer Gesetzesänderung für die Vereinfachung von Geschlechts- und Vornamensänderung bei transidenten und geschlechtsvarianten Personen pendent im EJPD
  • Zitat: ‚Denkbar ist, dass sie künftig ohne vorgängige medizinische Eingriffe oder Begutachtung gegenüber dem Zivilstandsamt eine Erklärung abgeben können, dass der Eintrag ihres Geschlechts und ihres Vornamens geändert werden soll.‘
  • Aktualisierung der Kriterien von Geburtsgebrechen in der Revision des Bundesgesetzes über die Invalidenversicherung
  • Kostenfreie psychosoziale Beratung wird nicht umgesetzt, das bestehe bereits seitens der Medizin, der Behörden und Privater (!!!!!!!!)
  • Keine Vorgaben des Bundes zu den konkreten Behandlungspraktiken oder Informationen. Das sei Aufgabe der involvierten Fachgesellschaften.
  • Es werden keine statistischen Daten erfasst da es Zitat: ‘keinen internationalen Konsens über eine eindeutige Definition der Diagnosen und Behandlungen für “Varianten der Geschlechtsentwicklung (Differences of Sex Development, DSD)” gibt‘. Und weiter, Zitat: ‚Auch der zukünftigen einheitlichen Erfassung solcher Daten stehen die unterschiedlichen Definitionen und Ausprägungen der “Varianten der Geschlechtsentwicklung” im Weg.‘

Obwohl sich der BR auf seine Information vom 6.7.16 bezieht ist von den damaligen Aussagen praktisch nix mehr geblieben. Der Bericht damals schliesst folgendermassen:
Zitat: ‚In der Vergangenheit wurden indes viele Kinder mit uneindeutigen Geschlechtsmerkmalen auch ohne medizinische Notwendigkeit rasch nach der Geburt operiert, um ihnen ein Geschlecht zuzuweisen. Diese Eingriffe haben in vielen Fällen erhebliche Folgeschäden und schweres Leid bei den Betroffenen verursacht; zudem geschahen sie teils ohne das Einverständnis oder gar das Wissen der Eltern.
Aus heutiger Sicht verstossen solche frühen, vermeidbaren Eingriffe gegen das geltende Recht auf körperliche Unversehrtheit. Wenn immer möglich muss mit irreversiblen Behandlungen zugewartet werden, bis das Kind alt genug ist und selbst darüber entscheiden kann.‘

Faktencheck:
Intersexualität ist weder eine Modeerscheinung noch wegdiskutierbar, schon gar keine Krankheit und auch nicht wegoperierbar! Sie existierte schon immer, das beweist die Geschichte! Und sie hat Varianten die physisch auf den ersten Blick unsichtbar sind, was die Probleme der betroffenen Personen aber in keinster Weise mindert. Der Anteil an der Bevölkerung kann nur geschätzt werden, denn Statistiken fehlen, und sollen ja auch nicht gemacht werden….
Solange wir aber im binären Geschlechtssystem leben, bei einer Geburt innerhalb 72 Stunden ein Geschlecht eingetragen werden muss, und keine Grundlagen geschaffen werden das zu ändern, werden operative Anpassungen gemacht. Zwar hat das EAZW (Eidgenössisches Amt für Zivilstandswesen) in einer amtlichen Mitteilung am 1.2.14 (wie im Bericht des BR erwähnt) Erleichterungen zur Änderung von Geschlechtseintrag und Vornamen bei intersexuellen Personen veröffentlicht, nur, das gilt nur für Änderungen nach irgendeinem Geschlechtseintrag bei Geburt.
Geschlechtsanpassende Operationen bei Geburt oder kurz danach verstossen gegen die Verfassung, da gibt es kein wenn und aber und keinen Handlungsspielraum (Art. 10, Art. 11)! Wo sind bitte die strafrechtlichen Regelungen im geltenden Recht, die solche Operationen explizit verbieten? Respektive, wäre dem so, warum und unter welchen Vorwänden werden sie dennoch bis zum heutigen Tag vorgenommen und nicht strafrechtlich verfolgt? Kommt dazu, dass die momentane Verjährungsfrist betroffenen Personen oft die Möglichkeit nimmt Massnahmen zu ergreifen!
Kostenfreie Beratung seitens der Medizin mag es geben, ausschliesslich bei Geburt, wenn der Arzt den Eltern erklärt, sorry, wir müssen da was korrigieren. Seitens der Behörden gibt es da bloss die Unterstützung der IV nach Zwangsoperationen und, wenn mit ‚Privaten‘ NGOs gemeint sind, es gibt da ein paar wenige, kleine, kaum bekannte… Hier zeigt sich das Informationsdefizit seitens des Bundesrats deutlich und das stellt seine Kompetenz mehr als nur in Frage…
Zudem werden Verantwortungen abgeschoben, unter anderem im Bereich Behandlungspraxis und Information dazu, auf Fachgesellschaften, Behörden die keine Ahnung haben und Private (von denen der BR Kenntnis zu haben scheint, aber nur er….). Die Frage sei erlaubt, wer hat die Aufgabe die Verfassung umzusetzen?
Es scheint auch zu viele Varianten zu geben, und die stehen einer statistischen Erfassung im Weg. Übersetzt heisst das, zu viel Aufwand für das BFS, kein Interesse an einer Statistik, denn diese würde Mängel, Vertuschung und Lügen seitens der Behörden, der Medizin und des Bundes aufdecken!
Fazit:
Ein erbärmlicher Versuch sich mit der Problematik Intersexualität zu befassen, zu wenig reales Interesse etwas zu ändern. Intersexualität ist nicht nur physisch sichtbar, dreht sich nicht nur um Operationen an Kindern (auch wenn das eins der wichtigsten Anliegen der Community ist). Es geht um bestehende Rechte die nicht umgesetzt werden, es geht um Rechte die nicht gewährt werden, es geht um Menschen die sich ignoriert fühlen. Das wollen und können wir nicht auf uns sitzen lassen! Wir wollen die Selbstbestimmung, und wir brauchen die Unterstützung der Community und der Betroffenen, mehr denn je! Über seinen Körper bestimmt ein Mensch selber, es gibt weder Gesetze noch Verordnungen die das Ärzten oder Behörden erlauben! Ist er ‘noch nicht urteilsfähig’, wartet man zu bis er es ist!

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