In Zürich wirbt eine bekannte Lesbians&Gays Party regelmässig „für mehr feminine Lesben und einen toleranteren und unkomplizierten Umgang unter Gleichgesinnten.“ Dieser Satz, der auf den ersten Blick offen und vorurteilsfrei wirkt, entpuppt sich bei näherer Betrachtung als diskriminierend. Warum?
Von Lovis Cassaris
Spätestens seit der berühmten Filmserie „L-Word“ ist klar: Es gibt Lesben und sie sind schön. Schön weiblich oder allenfalls androgyn. Betont maskulin auftretende Frauen sucht man in der Serie vergeblich. Die Botschaft, die von 2004 bis 2009 in die Welt ausgestrahlt bzw. verkündet wurde, lautet pointiert: Wir sind lesbisch, aber wir sind keine Kampflesben. Sprich: Lesben tragen keine Flanellhemden mehr, haben mehrheitlich lange Haare, sind modisch und schlank. Was sich in einer Filmproduktion leicht ausblenden lässt, ist in der Realität zum Glück nicht möglich. Wer sich in der sogenannten Szene bewegt, sieht schnell: Die Lesben gibt es nicht.
Warum diskriminiert nun ein LGBT-Veranstalter, von dem man erwarten könnte, dass er für das Thema sensibilisiert ist, eine Minderheit in der Minderheit? Gruppenbezogene Diskriminierung ist auch in der LGBTIQA*-Community beobachtbar. Dafür gibt es mindestens zwei Gründe: Menschen in gesellschaftlichen Positionen ausserhalb der privilegierten heterosexuellen, weissen Beziehung wälzen zum einen den Druck, unter dem sie stehen, in Form von Diskriminierung auf andere ab. Das muss nicht ausschliesslich das Aussehen betreffen. Auch das Geschlecht, die Ethnie, die Religionszugehörigkeit, das Alter und der soziale Status sind ein Grund, dass ein Mensch innerhalb der eigenen LGBTIQA*-Community diskriminiert wird. Zum anderen hat die Vorstellung, sich einer bestimmten Lebensweise angleichen zu müssen, zur Folge, dass diejenigen exkludiert werden, welche nicht Teil davon sind. So werden maskuline Frauen diskriminiert, weil sie das Bild einer männerhassenden Emanze wecken, während feminine Frauen einen Verrat an den Feminismus darstellen. Weitere Beispiele zeigen, dass sich die Diskriminierung innerhalb der LGBTIQA*-Community nicht auf eine oder zwei Gruppen beschränkt. Butches und Femmes werden als billige Kopien einer Heterobeziehung abgestempelt, welche heteronormative Strukturen weiter reproduzieren.
Bisexuelle hingegen als Menschen, die sich grundsätzlich nicht für ein Geschlecht entscheiden und deshalb auch nicht treu sein können. Der Kontakt mit dem anderen Geschlecht macht sie zudem unrein, obwohl elitäre „Goldlesben“ ohne heterosexuelle Vergangenheit beispielsweise eher selten sind.
Schwule scheinen einem Schönheitswahn unterworfen zu sein. Jung und sportlich müssen sie sein und am besten immer für eine schnelle Nummer bereit. Schwer haben es vor allem diejenigen Männer, welche sich eine feste, monogame Beziehung wünschen ausserhalb des schwulen Bildes, welches von der Werbung vermittelt wird.
Mehr noch als Lesben und Schwule werden insbesondere Transmenschen, Inter- und Asexuelle diskriminiert. Problematisch ist eine Integration in die Community deshalb, weil Transfrauen beispielsweise vorgeworfen wird, eine verzerrte Konstruktion von Weiblichkeit zu reproduzieren und Transmänner weiterhin als Lesben gesehen und in ihrer Geschlechtsidentität nicht ernst genommen werden. Sie sind weder Fisch noch Fleisch, ihre Geschlechtsidentitäten und Geschlechtskörper „undenkbar“, so dass zahlreiche Veranstaltungen auch weiterhin strikt nur für Cis-Frauen und Cis-Männer, sprich für Menschen, deren Geschlechtsidentität von vornherein mit ihrem körperlichen Geschlecht übereinstimmt, offen sind. Transmenschen, Inter- und Asexuelle werden diskriminiert, weil ihre Körper und ihre Begehrensformen auch innerhalb einer LGBTIQA*-Community nicht der Norm entsprechen.
Die genannten Beispiele zeigen, dass (sexistische) Diskriminierung und Sexismus komplexe Mechanismen sind, die täglich reproduziert werden. Davon sind auch Angehörige einer LGBTIQA*-Community nicht ausgeschlossen. Gilt es nun, eine gemeinsame Identität zu finden? Hoffentlich nicht. Vielfalt ist ein wesentlicher Bestandteil der LGBTIQA*-Community. Die Berufung auf eine gemeinsame Identität mag auf den ersten Blick sinnvoll erscheinen, um politische Ziele nach aussen zu vertreten und zu erreichen. Tatsache ist, dass eine gemeinsame Identität gleichzeitig exkludierend ist. Sinnvoll wäre, um es mit Judith Butler auszudrücken, eine Allianz von Individuen und Gruppen, die zwar nicht frei von Auseinandersetzungen sind, aber selbstreflexiv und selbstkritisch damit umgehen können.