Ein Kommentar zur Vielfalt

Am Mittwoch, 18. März 2015, diskutierten in der Villa Stucki Christoph Janser, Präsident der HAB, Roland Sanwald, Psychologe und Psychotherapeut, Peter Christen, Leiter der Bisexuellen Arbeitsgruppe der HAZ, Lovis Cassaris, freie Journalistin und Lukas Neuenschwander über Diskriminierung in der LGBT Community.
Von Lukas Neuenschwander
Bereits zu Beginn der Diskussion zeigte sich, dass die Anwesenden bisher eigentlich kaum Diskriminierung in der Community erlebt haben. Grund könnte sein, dass die Diskriminierung von Aussen, von der Gesellschaft, Diskriminierung in eigenen Kreisen relativiert und als nichtig empfunden wird. Oder es könnte daran liegen, dass wir Diskriminierung ausschliesslich auf uns beziehen, auf persönliche Erfahrungen und es so gar nicht wahrnehmen, wenn wir nicht selbst davon tangiert werden. Oft geht der Mensch ja den Weg des geringsten Widerstands, daher ist es nachvollziehbar, dass wir uns nicht unbedingt mit Themen und Handlungen auseinandersetzten, die uns nicht direkt betreffen. Gerade aus diesem Grund war diese Diskussion für mich retrospektiv sehr wertvoll, denn ich nahm mir die Zeit, mich mal umfänglich und distanziert mit Diskriminierung in unserer Community auseinanderzusetzen. Ich habe meine Gedanken niedergeschrieben und möchte nun die Community daran teilhaben lassen. Meine Ausführungen sind auf Situationen gestützt, die ich so erlebt habe. Sollte sich jemand denken, dass es sich dabei um Bagatellen handelt, möchte ich noch darauf hinweisen, dass es genau diese Kleinigkeiten sind, worin sich Diskriminierung und Ausgrenzung äussert und dass man gerade dort nicht wegschauen darf.

LGBT, aber das T und das B sind nicht mitgemeint

Als ich zum ersten mal jemanden sagen hörte, dass Bisexualität so etwas wie verborgene Homosexualität sei, hielt ich es für einen Witz. Aber es ist tatsächlich erstaunlich, dass es doch immer noch Leute in der Community gibt, die genau diese Auffassung vertreten. Oder auch Aussagen, wie “bei Bisexuellen ist die potenzielle Konkurrenz grösser und demnach auch die Wahrscheinlichkeit, dass eine Beziehung nicht längerfristigen Bestand hat und man früher oder später, wenn nicht für das gleiche Geschlecht, bestimmt für das andere Geschlecht verlassen wird” finde ich vollkommen absurd und paradox. Genau durch solch eine Aussage reduziert man die Liebe ja erst recht aufs Geschlecht. Welche Bedeutung haben denn da Werte wie Vertrauen, Ehrlichkeit und Offenheit in einer Beziehung noch. Aus diesem Grund, dass eben Bisexualität teils nicht ernst genommen wird, ist das B, wenn von LGBT bzw. LGB die Rede ist, immer wieder mal auch komplett vergessen.
In diesem letzten Satz verbirgt sich eine weitere Form der Ausgrenzung. Bei LGB-Personen, die selbst keine Transperson in ihrem Umfeld haben, ist das Verständnis von Trans* oft stark von den Medien geprägt. Die Repräsentation von Trans* in den Medien ist jedoch leider immer noch mehrheitlich sehr einseitig. Zudem werden in Medienberichten immer noch allzu oft falsche Begrifflichkeiten wie etwa Geschlechtsumwandlung statt Geschlechtsangleichung oder falsche Pronomen und Namen verwendet. Wenn man sich nicht selbst mit Trans* auseinandergesetzt hat oder sich selbständig aufklärte, ist es nur verständlich, dass das T schnell mal vergessen geht. Das kann ja mal vorkommen, weil Cis-Personen sich ihrer Geschlechtsidentität meist gar nicht bewusst sind und sie daher auch nicht dafür sensibilisiert sind. Jedoch sollte man als Cis-Person nicht über Trans* aufklären, wenn man sich nicht damit befasst hat und keine konkrete Idee hat, was Trans* alles umfasst und wie man darüber sprechen sollte. Was uns Transmenschen besonders stört, ist, dass zwar oft von LGBT gesprochen wird, da sich diese Abkürzung mittlerweile eingebürgert hat und trotzdem meist nur LGB gemeint ist. Dazu kann ich nur sagen: „Don’t say LGBT if you mean LGB.“ Dazu zwei aktuelle Beispiele:
Bislang werden Straftaten aus homophoben und transphoben Motiven nicht gesondert erfasst. Im November letzten Jahres wurde beim Grossen Rat ein Vorstoss gemacht, um diesen Umstand zu ändern. Am 17. März 2015 wurde das Postulat von Michel Rudin vom Grossen Rat an die Regierung überwiesen (vgl. diesen Link, abgerufen am: 28.03.2015).
Am 17. März kommentierte Pink Cross diesen Erfolg auf Facebook. Dabei ging aber komplett vergessen, dass es beim Vorstoss ja um homophobe UND transphobe Gewalt geht. Nachträglich wurde dieser Beitrag dann doch noch mit “transphober Gewalt” ergänzt (vgl. diesen Link, abgerufen am: 28.03.2015).
Beim zweiten Beispiel geht es um das ‘Gay West’. Ich bin mir vollkommen bewusst, dass das Festival ein heikles Thema ist und die Community gespalten ist, wenn es um ‘Gay West’ geht. Aus diesem Grund möchte ich auch nicht konkret auf die Inhalte der Debatte eingehen. Nur rasch zum Allgemeinen Verständnis: ‘Gay West’ ist ein Festival, das sich an Homosexuelle richtet und das wird auch ganz klar so kommuniziert. Zudem will das Festival nicht politisieren. Dagegen wäre ja grundsätzlich nichts einzuwenden. Was mir jedoch im Zusammenhang mit Diskriminierung wichtig erscheint, ist der Aspekt der Sprache. Sprache widerspiegelt, wie wir unsere Lebenswelt wahrnehmen. In der Sprache zeigen sich unsere Wertehaltungen. In der Sprache widerspiegeln sich zudem gesellschaftliche Normen, wodurch die Sprache auch dazu beiträgt diese gesellschaftlichen und kulturellen Konstrukte aufrecht zu erhalten.
Ich möchte auf einige Äusserungen eingehen, die mir problematisch scheinen und zu Verwirrung führen können, falsche Vorstellungen hervorrufen können und Annahmen von Ausgrenzung hervorrufen können. Für einige wird das vielleicht sehr spitzfindig klingen, aber man muss sich bewusst sein, dass gerade für Transmenschen Sprache sehr wichtig ist. Denn die Änderung der Sprache bzw. eine Änderung im Sprachgebrauch ermöglicht es Transpersonen überhaupt erst ihrer Geschlechtsidentität Ausdruck zu verleihen und diese für andere fassbar zu machen. Aufgrund der zuvor erwähnten Wirkungen von Sprache ist es zudem extrem wichtig, Sprache bewusst zu verwenden, denn durch Sprache wird auch Diskriminierung manifestiert.
In der Medienmitteilung von ‘Gay West’ steht, dass rund 3000 Gays erwartet werden. (vgl. diesen Link, abgerufen am: 28.03.2015). Auf der Website von Gaywest steht hingegen, dass 3000 LGBTs und Friends erwartet werden (vgl. diesen Link, abgerufen am: 28.03.2015).
Sobald die Rede von LGBT ist, muss auch LGBT gemeint sein. Dann kann man nicht plötzlich ausschliesslich von Gays sprechen. Ansonsten muss man LG sagen oder schreiben. Denn LGBT schliesst nicht nur Lesben und Schwule ein, sondern auch Bisexuelle und Transmenschen. Und sobald nicht nur Homosexuelle gemeint sind, haben auch Bisexuelle und Transmenschen das Anrecht mitzubestimmen.
Folgender Satz steht ebenfalls in der Medienmitteilung:

Alle KünstlerInnen auf der Bühne sind schwul, lesbisch, transsexuell und absolut GAY aus der Schweiz und professionell oder semi-professionell (vgl. diesen Link, abgerufen am: 28.03.2015).

Natürlich soll nicht willkürlich ausgegrenzt werden. Und Ausgrenzung ist bestimmt auch nicht das Ziel von ‘Gay West’. Allerdings lässt sich in diesen Satz vieles interpretieren. Will man unterschiedliche Interpretation vermeiden, muss man sich deutlicher Ausdrücken. Bisexuelle werden nicht erwähnt, woraus man ableiten könnte, dass das OK von ‘Gay West’ Bisexuelle nicht ernst nimmt und als unwürdig erachten, an ihrem Festival für Gays teilzunehmen, obwohl Bisexuelle ebenfalls gleichgeschlechtlich lieben, aber eben nicht ausschließlich. Zudem ist hier die Rede von Transsexuellen. Transsexuell ist ein Begriff der aus der Medizin und der Psychologie/Psychotherapie stammt. Die grosse Mehrheit der Transmenschen identifizieren sich nicht mit dem Begriff transsexuell und benützten diesen auch nicht für sich selbst. Wenn man klar kommuniziert, dass es am ‘Gay West’ keinen Platz für politische Diskurse gibt, muss man drauf achten, nicht selbst Begrifflichkeiten zu verwenden, die eine politische Debatte auslösen. Zudem muss davon ausgegangen werden, dass wenig Kenntnisse über Transgender vorhanden ist, wenn der Begriff transsexuell verwendet wird. Das wiederum würde deutlich machen, dass das Mitwirken von Transmenschen unbedingt erforderlich wäre.
Zu guter Letzt, ebenfalls aus der Medienmitteilung:

Der Heteronomativität wollen und können wir uns niemals anpassen – wir erobern den Platz, der auch mit unseren Steuern bezahlt wird und den wir sonst niemals durchs Jahr haben: den Bundesplatz!“ (vgl. diesen Link, abgerufen am: 28.03.2015).

Dieser Satz enthält mehrere politische Aussagen, was gegen den Grundsatz spricht, dass ‘Gay West’ nicht politisieren möchte. Nicht dass ‘Gay West’ das politisch meint, aber es kann definitiv politisch aufgefasst werden.
Zudem ist hier die Rede, dass WIR uns nicht der Heteronormativität anpassen können. ‘Gay West’ beansprucht die Nicht-Heteronormativität für sich, nur für Gays, obwohl auch Bisexuelle und Transmenschen nicht den heteronormativen Konstrukten der Gesellschaft gerecht werden können. Auch Transmenschen und Bisexuelle können sich nicht der Heteronormativität anpassen, dennoch werden sie nicht miteinbezogen. Das vermittelt den Eindruck, dass nur Homosexuelle an den heteronormativen Vorstellungen anstossen und sich damit konfrontieret sehen. Das ist schlichtweg aber nicht wahr. Schlussendlich ist die Nicht-Heteronormativität gerade das, was uns als Community, als LGBT-Community vereint.
Nochmals es ist von entscheidender Bedeutung, wie wir Sprache verwenden. Wenn auch wir nicht zu diskriminieren gedenken, bietet Sprache erst den Nährboden sich diskriminiert zu fühlen. Das sind subtile Details, die aber zu einer grossen Debatte führen können. Es gibt nun zwei Möglichkeiten damit umzugehen: Entweder findet man das komplett übertrieben und gebraucht Sprache wie bisher oder man reflektiert seien Sprachgebrauch und überlegt sich, ob auch tatsächlich die Menschen gemeint sind, die man anzusprechen gedenkt und passt dementsprechend sein Sprachhandeln an.

Normalisierung vs. Diversität

Es gibt ein erhebliches Problem in unserer Gesellschaft, von dem auch die LGBT-Community nicht unberührt bleibt und zwar, dass Menschen dazu tendieren sich provoziert oder angegriffen zu fühlen, wenn jemand andere Werte vertritt als jene Werte, die man selbst vertritt. Das zeigt sich meiner Meinung nach in unserer Community vor allem bei einem Aspekt: der Gender-Präsentation.
LGBT-Menschen sind genau so vielseitig und individuell, wie die überwiegende heteronormative Bevölkerung. LGBT-Personen fallen oft gar nicht auf und wollen auch nicht auffallen. Das ist jetzt keineswegs negativ gemeint, sondern eine Feststellung. Allerdings habe ich in Gesprächen schon öfters festgestellt, dass sich Schwule und Lesben – ich denke auf Bisexuelle trifft das weniger zu -, klar von den femininen Schwulen und maskulinen Lesben abgrenzen möchten, um klarzustellen, dass sie nicht so sind. Ich finde solche Aussagen despektierlich, da es suggeriert, dass es angepasstere und weniger angepasste Lesben und Schwule gibt. Ja, es gibt in der Community Personen, die den gesellschaftliche Stereotypen entsprechen, weil sich diese Menschen die Freiheit nehmen, sich so zu zeigen und zu verhalten, wie es ihnen entspricht und wie sie sich wohl fühlen. Inwiefern ist das rückständig bzw. hinderlich für die Entwicklung der Community? Ich finde solche Ansichten deshalb problematisch, weil es ein Streben nach Vereinheitlichung und Normalisierung andeutet. Meiner Meinung nach geht das in die falsche Richtung. Mir zumindest ist es ein Anliegen, Diversität sichtbar zu machen, wertzuschätzen und anzuerkennen. Es sollte nicht als Angriff der eigenen Identität und der eigenen Werte aufgefasst werden, wenn jemand eine andere äussere Erscheinung zeigt oder sich anders verhält, als man das selbst tut. Hier kommt ebenfalls die Tatsache ins Spiel, dass unsere Community teils selbst binär denkt, was wiederum verständlich ist, weil wir alle in der Welt des binären Geschlechterdenkens sozialisiert wurden. Wenn mir jedoch eine lesbische Frau sagt, dass sie grad so gut mit einem Typen zusammensein könnte, wenn sie sich auf eine maskuline Frau einlässt, dann sollten wir uns unbedingt darüber Gedanken machen, was den eigentlich einen Mann zum Mann und eine Frau zur Frau macht. Eigentlich ist das ganz einfach: Eine Person ist, was sie selbst von sich sagt, zu sein. Welche Adjektive wir zur Beschreibung der äusseren Erscheinung einer Person verwenden würden, ist hierzu absolut irrelevant.
Allerdings ist es nochmals eine andere Angelegenheit, wenn man von femininer Gender-Präsentation spricht. Wenn auch es ganz klar Vorurteile gegenüber maskulinen Frauen gibt, ist es dennoch eine Tatsache, dass dies trotzdem mehr Akzeptanz in der Gesellschaft findet als feminine Gender-Präsentationen, besonders bei Männern. Weiblichkeit ist nach wie vor negativ konnotiert und gegenüber von Männlichkeit minderwertig. Wer sich feminin präsentiert, wird weniger ernst genommen und muss sich seinen Respekt zuerst verdienen. Zudem wird bei Männern die Männlichkeit und das Mann-sein in Frage gestellt, wenn dieser sich feminin präsentiert. Ich denke, dass sich vor allem Transmenschen die Frage stellen müssen, wie sie damit umgehen, wenn beispielsweise ein Transmann eine feminine Gender-Präsentation hat und typische weibliche Charakterzüge verkörpert. Das bietet viel Raum für Transphobie in der Trans-Community, weil man sich unter dem gleichen Label verordnet, aber trotzdem vollkommen unterschiedlich ist und somit die Möglichkeit besteht, dass man eine von der eigenen Geschlechtsidentität unterschiedliche Identität eben als Provokation wahrnimmt, weil man möglicherweise mit einer Auffassung von Identität in Verbindung gebracht werden könnte, mit der man sich selbst nicht identifiziert. Deshalb ist es extrem wichtig, dass persönliche Aussagen über die eigene Identität nicht verallgemeinert werden, sondern darauf hingewiesen wird, dass es sich dabei um das eigene Empfinden handelt. In der Gesellschaft ist das nicht immer möglich bzw. kann das auf Verärgerung stossen, weil der Menschen das Bedürfnis hat einzuordnen. Aber in unserer Community sollte es möglich sein, Diversität unter einem Begriff festzuhalten. Deshalb wird ja Trans* auch mit dem Sternchen geschrieben, um eben nicht nur Männer und Frauen einzuschliessen, sondern auch die Geschlechter die dazwischen oder außerhalb dieser binären Zuordnung liegen. Geschlecht ist nunmal komplex.

Fazit

Bei dieser Diskussion werden ja Diskriminierungsformen angesprochen, die vorkommen oder zumindest vorkommen können. Es bedeutet nicht, dass das alle machen und alle nun ihr Verhalten ändern müssen. Aber es ist wichtig, dass jene, die sich von einem der Aspekte angesprochen fühlen, darüber nachdenken und sich bewusst überlegen, wie sie handeln und sprechen und ob sie damit Ausgrenzung ausüben. Denn solange wir nicht im Stand sind, Ausgrenzung in unserer Community auszumerzen, ist es auch schwieriger in der herteronormativen Mehrheit auf Akzeptanz zu stossen. Zudem können wir durch ein geeintes Auftreten, wobei jeder und jede hinter dem jeweils anderen stehen kann und ihn als Persönlichkeit akzeptiert und integriert, auch in anderen Bereichen der Politik und Gesellschaft Wandel bewirken. Das ist aber nur möglich, wenn wir unsere Ressourcen auch nutzten und nicht einzelnen Personen in den Rücken fallen und willkürliche oder unwillkürliche Diskriminierung ausüben. Jede Person in unserer Community hat gleich viel Wert und jede Person in unserer Community hat das Anrecht auf Repräsentation und das Anrecht seinen Beitrag zur Erhaltung und Entwicklung der Community zu leisten. Schlussendlich erfordert dieses Anliegen auch das Mitwirken jedes Einzelnen, indem man sich dazu bereiterklärt, voneinander zu lernen und seinen Horizont zu erweitern.

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