Die LGBT-Organisationen reagieren auf die Äusserungen von Staatsrat Oskar Freysinger: Homophobe und transphobe Diskriminierung in der Schule ist keine Wahnvorstellung.
Obwohl sich am Kollegium Creusets in Sitten 40 Lernende für den Workshop zum Thema “Zu was nutzen Schimpfwörter? Zwischen Sexismus und Homophobie” angemeldet hatten, wurde die Veranstaltung abgesagt. Im vorherigen Jahr wurde ein ähnlicher Workshop gemeinsam mit der Organisation ‘Les Indociles’ erfolgreich durchgeführt. Staatsrat Oskar Freysinger wurde vorgestern diesbezüglich von der Sendung ‘Forum’ des Schweizer Fernsehens RTS zum Thema kontaktiert. Dort äusserte er sich in einer – insbesondere für einen für Bildung und Sicherheit verantwortlichen Staatsrat – verantwortungslosen und gefährlichen Weise. Indem er sich selber homophob äusserte, bestritt er, dass es homo- und transphobe Diskriminierungen überhaupt gäbe. So bezeichnete er LGBT-Menschen – darunter auch die Lernenden für die er zuständig ist – als krank.
Jugendliche, die lesbisch, schwul, bisexuell oder trans* (LGBT) sind, sind in der Schule, in der Gesellschaft und in der Familie oft mit Homophobie und Transphobie konfrontiert. Die Ergebnisse der nationalen Gesundheitsstudie, die im Jahr 2011 von der Organisation ‘Dialogai’ und der Universität Zürich durchgeführt wurde, zeigen, dass das Suizid-Risiko bei der LGBT-Jugend aufgrund von Homo- und Transphobie zwei- bis fünfmal so hoch ist wie bei heterosexuellen Jugendlichen im selben Alter. 50 Prozent der Selbstmordversuche bei diesen Jugendlichen geschehen vor dem 20. Lebensjahr. 50 Prozent der LGBT-Jugendlichen unter 25 Jahren bestätigten, während den letzten zwölf Monaten mindestens einmal Opfer von Gewalt (verbale und körperliche Angriffe, sexuelle Belästigungen) gewesen zu sein und dies auch in einem schulischen Rahmen. Sie sind nicht oder nur selten in der Lage, sich mit der Bitte um Unterstützung an ihre Familie, ihren Freundeskreis oder die Schulbehörden zu wenden und wissen folglich oft nicht, wo sie Hilfe erhalten können. Homo- und transphobe Vorfälle im Bildungswesen haben schwerwiegende Konsequenzen: Schulabsenzen, Abbruch der Schulbildung, häufige Wechsel der Schuleinrichtung und Versagen in der Schule. Zahlreiche Jugendliche, Lehrkräfte sowie Gesundheitsfachleute (sei es im Wallis oder anderswo) bezeugen, dass die Realität ganz anders aussieht als wie sie Herr Freysinger darzustellen versucht.
Homophobie und Transphobie belastet nicht nur LGBT-Jugendliche: Alle Lernende, deren geschlechtsspezifischer Ausdruck nicht stereotypisch normkonform ist oder deren Verhaltensweise als anders gelesen werden kann (z.B. ein Junge, der als zu “feminin” gilt und zum Tanzunterricht geht oder ein Mädchen, das als zu “männlich” gilt und Fussball spielt), sind ebenfalls betroffen. Zudem betroffen sind Lernende, die in Regenbogenfamilien aufwachsen, in denen sich mindestens ein Elternteil als lesbisch, schwul, bisexuell oder trans* identifiziert. Nicht zuletzt sind Jugendliche betroffen, in deren näheren Umfeld sich LGBT-Personen bewegen, sei dies ein Onkel, eine Tante, Freundinnen oder Freunde.
Homophobie, Transphobie und deren Folgen im schulischen Umfeld stellen eine tatsächliche Hürde im gleichberechtigten Zugang zur Bildung und ein Problem im Gesundheitswesen dar. Es gilt das Ausmass dieser Problematik zu erkennen und dagegen vorzugehen.
Die Schule hat nicht nur die Aufgabe den Lernenden lesen, schreiben und rechnen beizubringen. Wie es die Schulpläne in der Romandie und die UNESCO-Grundsätze bestätigen, ist die Vorbeugung von Homo- und Transphobie ein Teil des Engagements gegen Diskriminierung im Allgemeinen und gehört zum Lernprozess des Zusammenlebens und zur Ausbildung der Gesellschaft. Die Schaffung eines positiven Lehr- und Lernklimas sowie eines Alltags ohne Homophobie und Transphobie mit der Beitrag aller Akteurinnen und Akteure im Bildungsmilieu, ist für alle Lernenden vorteilhaft. Im schulischen Kontext muss für alle Lernenden ein sicherer Bildungsraum gewährleistet sein, in dem Lernprozesse gefördert werden können.
Dr. Caroline Dayer, Dozentin an der Fakultät für Psychologie und Bildungswissenschaften der Universität Genf sowie Expertin im Bereich der Diskriminierungen wie Sexismus, Homophobie und Transphobie, erinnerte Oskar Freysinger vorgestern in der Sendung ‘Forum’ daran, dass “die Entscheidung, diesen Workshop aufzuheben eine institutionalisiert homophobe Entscheidung ist”.
Die LGBT-Organisationen fordern von Herrn Freysinger, sich künftig nicht mehr homophob zu äussern und von nun an die schwerwiegenden Konsequenzen von
Homophobie und Transphobie – auch an den Walliser Schulen – nicht mehr zu bestreiten. Sie fordern den Staatsrat und sein Departement für Bildung und Sicherheit auf, in den Walliser Schulen eine Politik zur effektiven Prävention und Bekämpfung von Homophobie und Transphobie aufzustellen, damit es endlich für alle Lernenden, egal welcher sexuellen Orientierung oder Geschlechtsidentität, einen förderlichen und gesunden Bildungsraum gibt.
Gemäss einer Medienmitteilung