Sensibilität gegenüber Menschen mit uneindeutigem Geschlecht fördern

In einer soeben veröffentlichten Stellungnahme hält der Bundesrat fest, dass „sich der Umgang mit Menschen, bei denen das Geschlecht nicht eindeutig bestimmt werden kann, in den letzten Jahren gewandelt“ habe. Die betroffenen Menschen hätten „Anspruch auf Achtung der körperlichen und psychischen Integrität und das Recht auf Selbstbestimmung“.

Protest von zwischengeschlecht.org vor dem Kinderspital in St. Gallen 2011.

Protest von zwischengeschlecht.org vor dem Kinderspital in St. Gallen.

Und: die meisten Empfehlungen der Nationalen Ethikkommission im Bereich der Humanmedizin (NEK) vom November 2012, die den Bund betreffen, „seien umgesetzt oder befänden sich in Umsetzung“ – etwa die Vereinfachung der Änderung des zivilrechtlichen Geschlechtseintrags oder die Änderung diskriminierender Begriffe in Gesetzen und Verordnungen.

Zudem hält der Bundesrat fest, dass der offene, nicht diskriminierende Umgang mit Menschen uneindeutigen Geschlechts eine wichtige gesellschaftliche Aufgabe sei. So soll zukünftig, neben der Gleichstellung von Mann und Frau, auch diesem Thema im Rahmen der Rechtsetzung vermehrt Beachtung geschenkt werden. Eine wichtige Rolle spiele zudem die erhöhte Sensibilität in der breiten Öffentlichkeit und die Anstrengungen der Medizin, bei der Betreuung und Behandlung von Betroffenen deren Selbstbestimmungsrecht und die Achtung ihrer körperlichen und psychischen Integrität in den Vordergrund zu stellen.

In der Vergangenheit wurden Kinder mit uneindeutigen Geschlechtsmerkmalen ohne medizinische Notwendigkeit kurz nach der Geburt operiert, um ihnen ein Geschlecht zuzuweisen. Diese Eingriffe haben in vielen Fällen erhebliche Folgeschäden und schweres Leid bei den Betroffenen verursacht; zudem geschahen sie teils ohne das Einverständnis oder gar das Wissen der Eltern. Der Bundesrat stellt klar, dass aus „heutiger Sicht“ diese „vermeidbaren Eingriffe gegen das geltende Recht auf körperliche Unversehrtheit“ verstosse.

Die Organisation „Menschenrechte Schweiz“ stellt als Reaktion auf die Stellungnahme des Bundesrates fest, dass damit „die Thematik noch nicht vom Tisch“ sei. Es gebe Anzeichen, dass das geforderte Umdenken in den Spitälern nur schleichend ankomme. Ohne gesetzliche Grundlage, die klar regelt, sei es „unwahrscheinlich, dass sich eine jahrzehntelange medizinische Praxis ändere“.

Und Daniela Truffer von zwischengeschlecht.org – der Menschenrechtsorganisation von Inter*-Personen – empfindet die Stellungnahme des Bundesrates als „skandalös und schönfärberisch“. Damit würden – die vom Staat bezahlten – Genitalverstümmelungen „kleingeredet“ und gebe zudem einen Freipass für weitere Verstümmelungen. Auch setze sich der Bundesrat über die Menschenrechte und Entschädigungsansprüche der Betroffenen hinweg und kümmere sich weder um den Inhalt des immerhin vierjährigen Berichts der NEK, noch um die verbindliche Empfehlung des UN-Kinderrechtsausschusses und des Ausschusses gegen Folter.

2015 haben sich erstmals zwei UNO-Ausschüsse mit den Anliegen von Inter*-Menschen in der Schweiz befasst: Der Ausschuss zur Verhütung von Folter und derjenige zum Schutz der Kinderrechte empfehlen mit eindeutigen Worten die Abkehr von der Praxis, geschlechtskorrigierende Operationen bereits im Kleinkindalter durchzuführen. Dabei ist das UNO-Fachgremium darum besorgt, dass die schädliche Praxis bislang nicht untersucht oder per Sanktionen unterbunden worden ist.

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