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LGBT-Opfer des Holocaust und die Schweiz

Mich hat die Thematik «Holocaust und Homosexualität» immer wieder beschäftigt und ich habe immer wieder Artikel zu diesem Thema verfasst. Die Rolle der Schweiz dabei ist wohl den wenigstens bewusst. Gerne zitiere ich deshalb aus der aktuellen Ausgabe des Newsletters des «Vereins Schwulengeschichte» ...

Über Jahrzehnte haben in Deutschland LGBT-Organisationen für die Rehabilitierung und Entschädigung der wegen ihrer Homosexualität verurteilen Menschen gekämpft. Im Juni letzten Jahres hat dann der Deutsche Bundestag das «Gesetz zur strafrechtlichen Rehabilitierung der nach Paragraf 175 des deutschen Strafgesetzbuchs verurteilten schwulen Männer in zweiter und dritter Lesung – endlich – beschlossen. Endlich wurden alle nach 1945 und bis zur Abschaffung des «Schwulenparagrafen» im Jahr 1994 ergangenen Verurteilungen aufgehoben.
Mich hat die Thematik «Holocaust und Homosexualität» immer wieder beschäftigt und ich habe immer wieder Artikel zu diesem Thema verfasst. Die Rolle der Schweiz dabei ist wohl den wenigstens bewusst. Gerne zitiere ich deshalb aus der aktuellen Ausgabe des Newsletters des «Vereins Schwulengeschichte» …
Wir wissen: Die bekanntesten Opfergruppen des Nazi-Terrors waren Juden und aus politischen oder religiösen Gründen Verfolgte. Dabei war eigentlich klar, dass homosexuelle Opfer, die schon in der KZ-Lagerhierarchie die Untersten, Letzten waren, auch jetzt wieder übergangen würden, einzig weil sie keine Lobby hatten, weil sie noch immer von vielen verachtet wurden und weil es Staaten gab, die sie weiterhin kriminalisierten.
Bei den Wiedergutmachungsgeldern handelte es sich in unserem Land um den Schweizer Holocaust-Fonds, der am 5. Februar 1997 gegründet und, von den Grossbanken mit 100 Millionen Franken dotiert, der Nationalbank überwiesen wurde in der Hoffnung, dieser Betrag werde noch weiter aufgestockt, auch durch die Nationalbank selbst. Im Schlussbericht vom 3. Mai 2002 wird eine durch den Fonds verteilte Summe von total 295 Millionen erwähnt. Die Beiträge gingen «vor allem an Bedürftige in Osteuropa». Hintergrund des ganzen Geschehens waren sowohl die Debatte über die Rolle der Schweiz im Zweiten Weltkrieg wie auch die US-Sammelklage von Holocaust-Opfern gegen die Schweizer Grossbanken. Da wollte man mit dem Schweizer Fonds den guten Willen bekunden und eine möglichst weithin sichtbare Geste machen.
Noch im Februar 1997 meldete sich die schweizerische Schwulenorganisation Pink Cross im Namen aller homosexuellen Opfer des Holocaust beim Schweizer Holocaust-Fonds und mahnte, dass homosexuelle Menschen nicht erneut verschwiegen und vergessen werden dürfen. Federführend war Beat Wagner, eben als Pink Cross Präsident zurückgetreten, der sich nun als offizieller «Delegierter von Pink Cross für humanitäre Angelegenheiten» der Sache annahm. Für den Schweizer Fonds war entscheidend, dass Pink Cross und sein Delegierter die Suche nach homosexuellen Opfern selber durchführen wollten und auch schon bald erste Ergebnisse vorzeigen konnten. So kam es noch im selben Jahr (1997) zur Anfrage des eben durch die Internationale Goldkonferenz gegründeten Internationalen Holocaust-Fonds an Pink Cross, ob man bereit sei, auch dort als Interessenvertreterin für homosexuelle Nazi-Opfer mitzuwirken. Diese Chance wurde genutzt, und als weltweit einzige Schwulenorganisation erhielt Pink Cross auch dieses Mandat.
Vor zwanzig Jahren, am 21. Januar 1998, erhielt ein erstes homosexuelles Opfer auf Antrag von Pink Cross 2000 Franken aus dem Schweizer Fonds und ist damit als unschuldig verurteilter und bestrafter Mensch anerkannt, rehabilitiert und entschädigt worden. Weitere Zahlungen dieser ersten Tranche erfolgten am 17. und 24. März. Dazu kamen noch je 500 Franken aus der Kasse von Pink Cross.
Denn Pink Cross war mit einem Bericht an alle Mitglieder gelangt, worauf 13’000 Franken in die Holocaust-Opfer-Kasse flossen. Besonders dazu beigetragen hat die von Pink Cross organisierte Vorlesetour von Pierre Seel (1923-2005). Letzterer war eines der ersten homosexuellen Terroropfer der Nazis, das, von Pink Cross vorgeschlagen, entschädigt werden konnte. 1994 erschien seine Autobiografie in Französisch, zwei Jahre später auf Deutsch unter dem Titel «Ich, Pierre Seel, deportiert und vergessen». Auf seiner Tour las er 1995 in Genf und 1998 in Zürich, Bern und Basel. Was er las und in anschliessenden Gesprächen zusätzlich berichtete, erschütterte die Zuhörer und bleibt unvergesslich. Der Erlös aus freiwilligen Spenden deckte nicht nur sämtliche Unkosten, sondern füllte die Opfer-Kasse von Pink Cross massgeblich.
Quelle: schwulengeschichte.ch

Daniel

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